Bis Freitag treffen sich in Berlin 6000 Menschen, um über die Kraft sozialer Medien zu sprechen. Und um sich zu vernetzen.

Einer der ersten Begriffe, die der Ire Gavin Sheridan von einem Beamer an die Wand projizieren lässt ist das Wort „Noise“. Es bedeutet Lärm und es wird ganz still im Raum. Sheridan meint den Lärm, das „Rauschen“ im Internet, der entsteht, wenn Menschen pro Minute 72 Stunden Videos auf YouTube hochladen, wenn rund 400 Millionen Menschen täglich eine Nachricht auf Twitter hinterlassen und rund eine Milliarde Menschen auf Facebook ihren Status updaten. Dieser „Lärm“ ist die Fülle an Information, die gleichzeitig im Internet zur Verfügung stehen – und gefiltert werden müssen, unter anderem von Menschen wie ihm. Dann zeigt Sheridan im Aufbauhaus am Moritzplatz ein YouTube-Video von einem Menschen, der in den Straßen von Syrien erschossen wird. Gefilmt von einem Augenzeugen vor Ort. Auch das zeigt: Alles ist mit allem verknüpft. Genau jetzt.

Menschen, die Startups gründen

Darum geht es in dieser Woche in den mehr als 130 Vorträgen und Workshops, die auf der diesjährigen „Social Media Week“ in Berlin stattfinden. Bis Freitag werden Menschen an drei Veranstaltungsorten zwischen Kreuzberg und Mitte darüber reden, was es bedeutet, durch soziale Netzwerke – zumindest theoretisch – immer mit der ganzen Welt in Verbindung zu sein. Mindestens 6000 Besucher werden erwartet, von Anfängern, die noch nie etwas mit Sozialen Medien zu tun hatten, bis zu Experten, die seit Jahren mit Facebook, Twitter und Co arbeiten. Die Woche findet parallel in 13 Städten weltweit statt – von New York über Glasgow und Barcelona bis Singapur. Doch aus all diesen Städten sind auch Menschen nach Berlin gekommen, nicht nur für diese Woche, sondern auch, weil sie hier leben.

Júlia Marí Bernaus ist eine von ihnen. Die 27-jährige Spanierin wohnt seit drei Jahren in Berlin und weiß, dass sie ihren Nachnamen am schnellsten so buchstabiert: „wie der Stadtteil Bernau, mit S“. Sie hat hier ein Startup gegründet, oder besser, einen „Art Startup“. Mit ihrem Online-Projekt „ArtConnect-Berlin“ (kurz ACB) versucht sie, Künstler mit Galeristen oder anderen kunstinteressierten Menschen zusammen zu bringen. So können gemeinsame Filme und Tanzproduktionen entstehen, auch Musikstücke oder schlicht Ausstellungen. „Es gibt in Deutschland kein vergleichbares Portal“, sagt Bernaus, „auf denen Künstler sich gut vernetzen können.“ Es gab MySpace für Musiker, aber bei anderen Künstler sei das nicht angekommen. ACB könnte auch eine Art Agentur werden, über das Firmen Künstler erreichen können.

Agentur, das ist ein Wort aus dem Vor-Internetzeitalter. Ein Wort, das aber auch ernster und nach einem Businessmodell klingt. Genau so ist das bei ACB auch gemeint. Denn bisher verdient die kleine Gruppe um Júlia Marí Bernaus noch kein Geld mit dem Startup. Die drei Chefs arbeiten bisher ohne Gehalt und die Miete in der Neuköllner Boddinstraße zahlt Bernaus bisher zumeist aus ihren Ersparnissen. Derweil hat die Berliner Webseite schon jetzt 2600 Mitglieder. Trotzdem muss sie noch weiter bekannt werden und dabei hilft die Social Media Woche.

Soziale Medien können Menschen schnell begeistern

Bernaus Firma hat das Frühstück für den ersten Tag der Social Media Week in Berlin organisiert. In dem noch immer recht neuen Club „Naherholung Sternchen“ hinter dem Kino International treffen sich am Montagmorgen rund 30 junge Künstler und Internet-Experten und diskutieren über die Möglichkeiten, die Soziale Medien bieten. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wird klar, dass sie alle sehr unterschiedliche Hintergründe haben: Künstler aus den Niederlanden, Polen und Australien, Spieleentwickler aus New York und Startup-Gründer aus London sind dabei. Die Vorstellungsrunde ist kurz und manche haben Mühe, ihren Lebenslauf in zwei Sätzen unterzubringen. „Ach so“, sagt eine, „übrigens singe ich auch noch.“ Sie alle wohnen seit einer Woche in Berlin oder seit vier Jahren, sprechen perfektes Englisch, die Deutschen sind zwar in der Minderheit, die nicht auffällt, weil sie jene legere Kleidung tragen, die auf die Titelseiten von Streetwear-Magazinen gezeigt wird. Was sie vor allem verbindet, das sind die sozialen Netze.

Der erste Vortrag der Woche im „Naherholung Sternchen“ kommt von Konrad Lauten, dem Gründer des Startups „Inkubator“, das andere Gründer bei der Finanzierung ihres Projektes unterstützt. Jeder kann in einem Video seine Idee vorstellen und so für finanzielle Unterstützung werben. Beim sogenannten Crowdfunding geben manche Internetnutzer fünf Euro, andere 100 Euro. „Die Deutschen“, so Lauten in seinem Vortrag, „haben aber zu viel Angst vorm Scheitern.“ Deshalb würden sie solche Gruppen-Finanzierungsmodelle noch zu selten ausprobieren. Aber insgesamt wachse auch das Interesse von Unterstützern hier im Land, weil es erste Beweise gebe, dass es funktioniert. Soziale Medien können eben auch ganz schnell viele Menschen für etwas begeistern.

Ein Mix aus Laien und Profi

Auch das gehört also zum „Noise“, den der Ire Gavin Sheridan in seinem Vortrag erwähnt. Im Internet passiert so viel gleichzeitig und das weltweit, dass es möglich sein muss, das Interesse von Menschen auf bestimmte Themen zu lenken. Im Laufe der Woche wird es Vorträge von Internet-Gurus wie Tim Pritlove oder Linus Olsson, dem Gründer der Finanzierungs-Seite „Flattr“, geben. Der Berliner Autor Holm Friebe wird über einen Weg aus der Wirtschaftskrise reden und Jessica Weiss von der Modeseite lesmads.de kleinen Unternehmen Tipps geben wie sie „Journalisten und Blogger erreichen ohne zu nerven?“. Als einer der Höhepunkte dieser Woche wird am Donnerstag die südsudanesische Botschafterin Sitona Abdalla Osman erwartet, der darüber sprechen wird, wie sein Heimatland mit Hilfe sozialer Netzwerke eine neue Form der Demokratie in Afrika etablieren will.

Einer der Organisatoren dieser Woche, der Australier Joel Dullroy, sieht darin den Beweis, dass soziale Medien längst die Art bestimmen, wie wir das Internet wahrnehmen. „Es geht schon lange nicht mehr darum, ob man in einem Sozialen Netzwerk ist oder nicht“, sagt er. Vielmehr nehmen viele Jugendliche heute die Dinge erst dann wahr, wenn sie auch über Twitter, Facebook oder LinkedIn verbreitet wurden. „Es ist dann für viele wirklicher als die Wirklichkeit“, sagt Dullroy. Er organisiert vor allem die Vorträge im Foyer von „Immobilienscout24“ in der Andreasstraße 10. „Hier werden wir definitiv mehr Anzüge sehen als in den anderen Orten“, sagt er. Da die Teilnahme aber überall kostenlos ist, wird sich automatisch ein Mix aus Laien und Profis ergeben.

„Ich bin kein Fan von Facebook“

Joel Dullroy selbst allerdings – und das ist für dieses Ereignis schon besonders – tritt Sozialen Medien eher skeptisch gegenüber. „Ich bin kein Fan von Facebook und Twitter“, sagt er. „Sie sind aber inzwischen für das Internet so wichtig wie Wasser zum Trinken.“ Durch sie erfahren Menschen ihre täglichen Nachrichten, kommunizieren mit Freunden, schicken einander Fotos und Videos. Joel Dullroy aber sagt, dass es egal sein muss, ob man soziale Netzwerke mag oder nicht. „Man wird an ihnen nicht vorbei kommen“. Selbst wenn Facebook irgendwann schließen muss, weil sich die Menschen einem neuen Dienst zuwenden. Es bleibe wichtig, diese Form der Interaktion ernst zu nehmen. „In dieser Woche wollen wir mit Menschen darüber sprechen, wie sich das Internet verändert hat“, sagt er, „und wie wir uns dem anpassen müssen.“

Zwischen „Naherholung Sternchen“, „Imobillienscout24“ und „Aufbauhaus“ ergibt sich in dieser Woche eine Strecke, auf der viele unterwegs sein werden, nicht nur wirklich auf der Straße, sondern auch mit ihrem Mobiltelefon in der Hand. Wer am ersten Tag bei Twitter nach Spuren der „Social Media Week Berlin“ sucht, wird so auch schnell fündig. Als Kürzel hat sich im Internet „SMWberlin“ etabliert. Der Italiener Arturo Robertazzi schreibt dort beispielsweise mehrmals in der Stunde kurze Nachrichten. Und freut sich am Nachmittag nach dem Vortrag des Iren Gavin Sheridan über das „Rauschen“, den „Noise“ im Netz, dann doch über ganz reale Dinge des Miteinanders: dass „die Deutschen statt zu klatschen, lieber auf Tische oder Stühle klopfen.“